Dokumentation der Fachtagung der BAG EJSA und des Netzwerk Teilzeitberufsausbildung am 20. Oktober 2021 online
Zunächst zum Hintergrund der Tagung "Teilzeitberufsausbildung und gesetzliche Neuerungen": Eine Berufsausbildung in Teilzeit bietet allen Ausbildungsinteressierten und damit auch jungen Menschen die Möglichkeit, einen Berufsabschluss zu erwerben und eröffnet die Perspektive auf eine selbstständige Lebensgestaltung. So können die Auszubildenden Familie oder individuelle Lebensumstände und Berufsausbildung flexibler miteinander vereinbaren. Die Teilzeitberufsausbildung ist eine vollwertige Berufsausbildung, mit verringerter täglicher oder wöchentlicher Ausbildungszeit im Betrieb.
Mit der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes, das im Januar 2020 in Kraft getreten ist, sind die Möglichkeiten der Teilzeitberufsausbildung neu gerahmt und erweitert worden. Seit 2020 ist die Teilzeitberufsausbildung in einem eigenen Paragrafen (§7a BBiG) und stellt eine eigenständige Gestaltungsoption zur Durchführung einer Berufsausbildung dar. Die im Juni 2021 verabschiedete Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zur Teilzeitberufsausbildung soll als Grundlage für eine einheitliche Anwendung der gesetzlichen Vorschriften in der Praxis dienen.
Mit diesen Entwicklungen beschäftigte sich am 20. Oktober 2021 die Fach- und Netzwerktagung „Teilzeitberufsausbildung nach der Novellierung des BBiG“
Im Einstiegsvortrag erläuterte Mario Patuzzi die Novelle des BBiG und die Empfehlung zur Teilzeitberufsausbildung vom Hauptausschuss des BIBB. Dabei ging der Referatsleiter für Grundsatzfragen der Berufsbildung und Weiterbildung, Abt. Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim DGB ebenfalls auf die die Berechnung der Ausbildungsdauer ein. Die neue Teilzeitberufsausbildung richtet sich an alle Ausbildungsinteressierten und kann eine Möglichkeit für den Erwerb eines Berufsschulabschlusses für Geflüchtete, geringqualifizierte Beschäftige oder Menschen mit Behinderungen zu sein.
Anschließend wurde diskutiert, wie sich die Teilzeitausbildung durch den Wegfall des „berechtigten Interesses“ (z.B. Familien- oder Pflegeverantwortung, gesundheitliche Beeinträchtigung, Teilnahme am Leistungssport) entwickeln wird. Bis 2019 war Teilzeitausbildung und ihre Durchführung auf dieses „berechtigte Interesse“ ausgerichtet gewesen. Für die weitere Umsetzung ist es daher wichtig, dass die Ausbildungsinteressierten und junge Menschen entsprechend ihren Bedarfen unterstützt werden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Ausbildungsberatung der zuständigen Stellen, i. d. R. die zuständigen Kammern, sowie die Gremienarbeit und Kooperation vor Ort.
Nach dieser Einstiegsrunde boten Impulsvorträge und Workshops den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich zu unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten intensiver auszutauschen und zu vernetzen:
1. Novellierte Teilzeitberufsausbildung kürzen: Grundlagen und Bedingungen
Tatjana Leichsering, Verein zur beruflichen Förderung von Frauen (VbFF e.V.) setzte sich mit den Grundlagen und Bedingungen auseinander, wie sich die Dauer der novellierten Teilzeitberufsausbildung verkürzen lässt. Seit der Gesetzesnovelle zur Teilzeit-Ausbildung verlängert sich der Ausbildungszeitraum um max. das 1,5-Fache. Der Aspekt Verkürzung gewinnt daher an Relevanz. Tatjana Leichsering gab einen Überblick über die Gesetzgebung, Empfehlungen zu deren Anwendung sowie gängige Verkürzungsgründe. Im Workshop zeigte sich, dass die Anerkennung von Verkürzungsanträgen in der Praxis unterschiedlich ausfällt.
2. Akquise von jungen Erwachsenen mit Familien- und Pflegeverantwortung
Marithres van Bürk-Opahle, Re/init e.V. Recklinghausen, ging den Fragen nach, mit welchen Medien und mit welchen Botschaften es gelingen kann, junge Menschen mit Familienverantwortung über die Teilzeitberufsausbildung zu informieren? Sie gab praktische Tipps für die Auswahl der Medien und Anregungen zur Entwicklung von Botschaften für die Zielgruppe und stellte ein Praxisbeispiel vor.
3. Öffnung der Teilzeitberufsausbildung für neue Zielgruppen
Arne Hirschner von der IHK Hannover, fokussierte in seinem Vortrag auf die Öffnung der Teilzeitberufsausbildung (TZBA) für neue Zielgruppen. So kann jeder und jede Auszubildende*r seit dem 1. Januar 2020 den betrieblichen Teil seiner Ausbildung in Teilzeit absolvieren. Dafür muss kein besonderer Grund mehr nachgewiesen werden. Somit öffnet sich die TZBA für Menschen, die beispielsweise aus familiären oder gesundheitlichen Gründen, aufgrund von Lernschwierigkeiten oder einer Behinderung keine Ausbildung in Vollzeit machen können. Einzige Voraussetzung bleibt, dass Auszubildende und Betrieb sich einig sein müssen.
4. Berufsschule und Teilzeitberufsausbildung
Bettina Herter, juniver Jugendberufshilfe, Diakonie Hannover gGmbH diskutierte über die besonderen Herausforderungen im Kontext der Teilzeitausbildung und Berufsschule in Vollzeit: Welche Entlastungen sind für die Auszubildenden möglich? Welche Chancen und Risiken bringen digitale Lernangebote mit sich? Wie kann den fehlenden finanziellen Möglichkeiten der Auszubildenden als Grundlage für die technische Ausstattung begegnet werden?
5. Herausforderungen und Strategien in der Akquise von Ausbildungsbetrieben
Sandra Müller-Reinke, Netzwerk Teilzeitberufsausbildung Baden-Württemberg, wurde empfahl, den Herausforderungen bei der Akquise von Betrieben mit Zeit, Ruhe, Begeisterung, Kompetenz und Fachwissen zu begegnen. Ihre Kernaussage dabei: „Nicht BITTEN sondern BIETEN.“ Sie haben ein tolles „Produkt“ zu bieten, Sie sind nicht nur Bittsteller*in. Seien Sie mutig!
6. Ganzheitliche Ansätze zur Unterstützung
Helia Geller-Fehling, juniver Jugendberufshilfe Diakonie Hannover gGmbH machte deutlich, dass ganzheitliche Ansätze zur Unterstützung und Begleitung vor, während und in der Teilzeitberufsausbildung mit Blick auf die Lebenswelten und Bedürfnisse der Teilzeitauszubildenden eine erfolgreiche Ausbildung absichern. Im Austausch wurde u. a. deutlich, dass eine kontinuierliche und auf Dauer angelegte intensive pädagogische Beziehungsarbeit ein entscheidender Faktor für das Gelingen der Begleitung ist.
7. Erfahrungen aus der Corona Pandemie: neue digitale Möglichkeiten?
Im Workshop von Angela Leimmecke, Re/init e.V. Recklinghausen, wurde erörtert, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die Tagungsteilnehmer*innen hat und welche digitalen Umsetzungsformate die Weiterarbeit zum Thema Teilzeitberufsausbildung ermöglichen. Digitaler Unterricht, digitale Ausbildungsmessen und digitale Betriebsbesuche erweisen sich als eine gute Lösung, sollten die Präsenz aber nicht komplett ersetzen (Stichwort „hybride Formate“). Der Fortbildungsbedarf der Akteur*innen und potentiellen Teilzeitauszubildenden in den Projekten ist nach wie vor hoch.
8. (Kein) ausreichendes Einkommen!
Der Vortrag von Irene Pawellek, Integrationscenter für Arbeit Gelsenkirchen - das Jobcenter, „(Kein) ausreichendes Einkommen!“ zeigte auf, dass neben der Ausbildungsvergütung häufig weitere finanzielle Unterstützung notwendig sei. Dafür stehen unterschiedliche Fördermöglichkeiten zur Verfügung. Um vor bösen Überraschungen gefeit zu sein, ist die frühzeitige Information – unter welchen Bedingungen ist welche Hilfeleistung möglich – zentral.