Junge eingewanderte Frauen* auf dem Weg in die Arbeitswelt - Wunschkonzert oder Hindernislauf?!
Die berufliche Integration junger zugewanderter Frauen* ist zum Teil besonders herausfordernd. Im Fachforum auf dem 17. DJHT wurden die vielfältigen, durch die Pandemie verstärkten Hürden aufgezeigt und Wege für Politik und Praxis zu deren Überwindung diskutiert.
Inhalte und Methoden
Mädchen*und junge Frauen* mit Migrations- oder Fluchthintergrund haben Wünsche zu ihrer beruflichen Zukunft. Allerdings verfügen sie häufig über schlechtere Startbedingungen und müssen mit spezifischen Hürden auf dem Weg in die Arbeitswelt zurechtkommen.
Das Fachforum ließ junge Frauen* zu Wort kommen, die die Frage nach Wunschkonzert oder Hindernislauf auf ihre eigene Weise beantworteten. Dr. Mona Granato vom BIBB skizzierte die Forschungserkenntnisse der letzten Jahre zur beruflichen Bildung der in sich heterogenen Zielgruppe der Mädchen* und jungen Frauen* mit Migrationsgeschichte, Muhammet Karatas berichtete aus der Perspektive der Wirtschaft, Frau Üstebay berichtete aus ihrer Arbeit beim Jugendmigrationsdienst Gelsenkirchen und Christine Schubart brachte die Perspektive eines Jugendhilfeträgers ein.
Neben den Hürden, die aktuell durch die Pandemie verstärkt werden, wurden im Gespräch auch die Gelingensfaktoren herausgearbeitet. So konnten konkrete praktische und politische Handlungsbedarfe abgeleitet werden.
Ablauf
- Eröffnung und Begrüßung durch Veranstalter*innen
- O-Töne von (zugewanderten) jungen Frauen aus dem Münchner Ausbildungsbetrieb „La Silhouette“
- Gesprächsrunde mit den Gästen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Migrant*innenorganisation und Praxis der Jugendsozialarbeit.
- O-Töne von (zugewanderten) jungen Frauen aus dem Münchner Ausbildungsbetrieb „La Silhouette“
- Offene Fragerunde mit Publikumseinbezug
- Kritische Zusammenfassung der Erkenntnisse, Schlussfolgerungen und Ausblick durch Christine Schubart, SKA Darmstadt
O-Töne aus dem Münchener Ausbildungsbetrieb „La Silhouette“
Junge Frauen aus München, mit und ohne Zuwanderungsgeschichte, beschrieben in sehr persönlichen Worten die Bedeutung von Bildung und Berufsausbildung für ihre Biografie. Sie lernen und arbeiten im Atelier „La Silhouette“, einem Ausbildungsbetrieb des Vereins Junge Frauen und Beruf e.V., Mitglied des Diakonischen Werks Bayern e.V. Dort werden ihre beruflichen und persönlichen Kompetenzen gestärkt und Wege zur nachhaltigen Integration eröffnet. Die Hürden und Ausgrenzungserfahrungen, die zugewanderte junge Frauen erleben, wurden in den O-Tönen ebenfalls deutlich benannt.
Produziert wurden die O-Töne speziell für das Fachforum. Die jungen Frauen haben den Veranstaltungstitel kritisch aufgegriffen und mit eigenen Antworten ergänzt. Sie gaben damit wesentliche Impulse für die Diskussion mit Dr. Mona Granato vom BIBB, Herrn Muhammet Karatas von der KAUSA Servicestelle der IHK Region Stuttgart, Meryem Üstebay vom JMD-Gelsenkirchen sowie mit einer Ausbilderin und einer Auszubildenden von „La Silhouette“. Moderiert von Elke Bott-Eichenhofer (CJD) und Judith Jünger (BAG EJSA) reflektierten die Beteiligten die Herausforderungen und die Gelingensbedingungen der beruflichen Bildung für zugewanderte junge Frauen. Christine Schubart vom Sozialkritischen Arbeitskreis (SKA) Darmstadt e.V. stellte in ihrem Schlusswort die Auswirkungen der Pandemie und die Rolle der Jugendsozialarbeit heraus.
Die O-Töne als Audiodateien
Schlusswort Christine Schubart, SKA Darmstadt
Vielen Dank an Elke Bott-Eichenhofer vom CJD und an die Kolleginnen der BAG EJSA für diese Veranstaltung. Wir haben gerade zum Abschluss den O-Ton einer jungen Fürsprecherin aus La Silhouette mit einem starken Statement gehört!
Ich möchte gerne die Metapher des Hindernis- und Hürdenlaufs noch um die „Buckelpiste“ ergänzen. Das ist etwas, was ich in meiner Zeit in der Berufsorientierung ganz stark erlebt habe, dass nicht nur Mädchen und junge Frauen einfach immer wieder auch durchgerüttelt werden. Insbesondere wenn sie eine Migrationsgeschichte haben, wenn sie noch gar nicht so lange in Deutschland leben. Denn dieses System rüttelt immer wieder - mit den fehlenden Aufenthaltstiteln, mit den vielfältigen Problemen, die hinzukommen. Das heißt, die Zugangswege sind noch einmal erschwert. Wir brauchen an dieser Stelle nicht nur interkulturelle Kompetenzen, sondern wir müssen reflektieren, in welchen intersektionalen Verschränkungen wir selber leben, aber insbesondere unsere Klientel, die jungen Menschen, mit denen wir es zu tun haben. Und diese Verschränkungen, die gilt es auch nochmal stärker an Politik heranzutragen und auch bei den Betrieben zu bewerben. Herr Karatas von der Kausa Servicestelle der IHK Stuttgart hat richtigerweise betont: Ausbilden ist eine soziale Verantwortung. Wir können aber auch die Betriebe nicht alleine lassen. Die Jugendsozialarbeit ist eine starke Akteurin und sie kann da ganz viel leisten.
Ich glaube, wir werden in Zukunft noch sehr viel mehr davon brauchen, denn wir wissen, das Gesicht von Altersarmut ist weiblich. Eine abgeschlossene Berufsausbildung ist wie eine erste Impfung, ein erster Schritt in ein selbstbestimmtes Leben. Es ist so wichtig, dass wir diese erste Impfung der Ausbildung auch wirklich allen, nicht nur den jungen Menschen, auch noch in späteren Lebensjahren ermöglichen. Denn diese erste Impfung ist ein ganz wirksamer Schutz – auch um nicht zu verharren in Lebenssituationen, die unschön sind.
Wir brauchen gute Unterstützungssysteme, wir brauchen die role models, wir brauchen die Türöffnerinnen* und wir brauchen natürlich auch diesen Klebeeffekt durch Praktika. Und dafür benötigen wir eine intensive Unterstützung und die kann die Jugendsozialarbeit leisten. Dass diese Unterstützung Wirkung zeigt, belegt das Phineo-Siegel, das Wirkt-Siegel, das zum Beispiel La Silhouette in München nicht ohne Grund bekommen hat. Dafür müssen wir noch viel mehr werben und die guten Beispiele auch in die Politik reinbringen.
Wir haben zu Beginn des Fachforums vom geschlechtsspezifischen Berufsverhalten gehört. Damit habe ich mich lange auseinandergesetzt. Ja, es wäre schön, wenn es uns gelingen würde, das noch zu erweitern. Allerdings sind die handwerklich kreativen, schönen Berufe - ein Beruf soll ja auch sinnstiftend sein - schlechter bezahlt. Also müssen wir gleichzeitig viel stärker dahin wirken, dass wir die Berufe mit hohen Frauenerwerbsquoten wirtschaftlich stark machen, damit sie besser entlohnt werden und es auch mit solchen Berufen möglich ist, tatsächlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Ja, wir brauchen die Wirtschaft, wir können die Wirtschaft auch nicht alleine lassen und ich plädiere sehr für vielfältige Unterstützungsmaßnahmen für Betriebe. Es ist nicht der richtige Weg, wenn junge Menschen, insbesondere Mädchen und junge Frauen, so schnell abgeschrieben werden, wenn sie es nicht im ersten Anlauf in die Ausbildung schaffen. Junge Menschen brauchen Zeit, um sich auch entwickeln zu können - über die Praktika, die Einstiegsqualifizierungen, über die Klebeeffekte. Warum geben wir jungen Menschen nicht auch mehr Zeit, sich selbst zu finden, aber sich auch in einem Betrieb einzufinden? Letzten Endes werden damit auch die Betriebe entlastet. Ich bin sehr dafür, da auch nochmal stärker draufzugucken. Die Jugendsozialarbeit ist eine starke Akteurin, die auch diese Bildungslücken auffangen kann, die auch die Problemlagen auffangen kann.
Die Kollegin vom Jugendmigrationsdienst Gelsenkirchen hat es für mich deutlich gemacht: auch uns Fachkräften tut es sehr gut, wenn Teams divers aufgestellt sind. Da appelliere ich an uns alle, auch eine diversere Personalpolitik zu betreiben, denn auch hier entstehen role models.
Abschließend glaube ich schon, dass wir in keine ganz einfachen Zeiten rutschen und insofern sollten wir alle sehr aufmerksam sein, was jetzt kommt. Denn ich fürchte, das große Sparen wird beginnen. Da sollten wir sehr wachsam sein, was gerade in der mädchen- und frauenpolitischen Ausrichtung passiert – ob, wo und wie gespart wird, denn das wäre ganz fatal. Frau Granato vom BIBB hat gesagt, dass 20 Prozent, etwa „nur“ 20 Prozent junger Menschen mit Migrationsgeschichte in den Betrieben in der Ausbildung landen - aber sowohl die Betriebe als auch die Auszubildenden glücklich sind. Dass sich der Unterschied erst in der dritten Generation auflöst - so lange können wir nicht warten! Und wir können auch nicht das Sparen mit durchstehen und sagen, es kommen auch schon wieder bessere Zeiten. Wir müssen jetzt ganz wachsam sein, denn wenn alle Frauen ihre Potentiale ausschöpfen könnten, wie sie sie haben, dann würden wir auch tatsächlich in einer anderen Welt leben. Das neoliberale Bild „man muss sich ja nur anstrengen, dann würden es auch alle Frauen schaffen“ – das funktioniert nicht. Wäre dem so, dass es alle Frauen erreichen könnten, wenn sie sich ausreichend anstrengen - denn das tun sie - dann würde unsere Welt anders aussehen und dann müssten wir uns keine Gedanken machen, dann wäre die nächste Bundesregierung weiblich. So einfach ist es nun mal aber leider nicht, aber dafür sind wir da und dafür kämpfen wir.
Referierende
- Dr. Mona Granato, Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) (Arbeitsschwerpunkte u.a.: Übergang Schule – Ausbildung, Berufliche Ausbildung junger Menschen mit Migrationshintergrund und junger Frauen*, Berufsorientierung junger Menschen, Berufliche Ausbildung und soziale Ungleichheit
- Muhammet Karatas, KAUSA Servicestelle der IHK Region Stuttgart (Beratung von (migrantischen) Unternehmen zu dualer Ausbildung von Migrant*innen/ Geflüchteten; gefördert vom BMBF Ausbildungs-Strukturprogramm „JOBSTARTER - Für die Zukunft ausbilden“)
- Meryem Üstebay, Mitarbeiterin im Jugendmigrationsdienst Gelsenkirchen
- Lisa Schäfer, (Azubi, 2. Lehrjahr) und Nuray Hatun-Urucu (Theoriefachfrau), Atelier ‘La Silhouette‘ (Damenmaßschneiderei und Ausbildungsbetrieb mit besonderer Nachwuchsförderung), Junge Frauen und Beruf e.V., München, Mitglied des Diakonischen Werkes Bayern e.V.
- Christine Schubart, Sozialkritischer Arbeitskreis (SKA) Darmstadt e.V., (Geschäftsführerin)
Moderation
- Elke Bott-Eichenhofer, CJD
- Judith Jünger, BAG EJSA
Ausrichter*in
BAG EJSA
Kooperationspartner
- Diakonie Deutschland
- Christliches Jugenddorf Deutschlands e.V. (CJD)
- Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit (KoV JSA)