Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur fünften Verordnung zur Änderung der Integrationskursverordnung vom 08.10.2024 im Rahmen der Verbändebeteiligung

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit vertritt als Fachverband die Interessen junger Menschen, die zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen auf Unterstützungen angewiesen sind (Paragraf 13 SGB VIII). Sie ist zugleich mitverantwortliche Zentralstelle des Bundes im KJP-Programm „Bundesweite Förderung der individuellen Begleitung junger zugewanderter Menschen“ und hier zuständig für die Fachbegleitung der Jugendmigrationsdienste (JMD).

Die JMD nehmen für junge Menschen bis zu 27 Jahren die Aufgabe der sozialpädagogischen Begleitung der Integrationskurse wahr (Paragraf 45 Aufenthaltsgesetz). Sie begleiten insbesondere die Teilnehmer*innen der Jugendintegrationskurse sowie grundsätzlich alle Teilnehmer*innen unter 27 Jahren in den verschiedenen Integrationskursarten.

Der vorgelegte Referentenentwurf sieht vor, die Jugendintegrationskurse ab Mai 2025 einzustellen (Paragraf 13 RefE). Hierdurch sollen in den nächsten Jahren insgesamt rund 125 Mio. Euro eingespart werden.

Der Referentenentwurf verknüpft die Einsparungen argumentativ mit dem JobTurbo in Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit (BA) und verweist auf die neuen berufsbegleitenden Sprachkurse sowie auf die Möglichkeit des Selbstlernens.

Die BAG EJSA nimmt im Folgenden explizit zu Paragraf 13 (Streichung der Jugendintegrationskurse) und zu Paragraf 4a (Fahrtkosten) Stellung.

Die BAG EJSA lehnt die Streichung der Jugendintegrationskurse in Paragraf 13 RefE ausdrücklich ab und fordert Erhalt und Verwaltungsvereinfachung für dieses jugendspezifische Integrationsangebot.

In ihrer Stellungnahme zur geplanten Änderung in Paragraf 13 der Verordnung zur Änderung der Integrationskursverordnung, begründet sie ihre Position sowohl fachlich-inhaltlich als auch anhand statistischer Daten, die den Erfolg dieser Kurse belegen.

Jugendintegrationskurse – ein ausdifferenziertes Kurssystem mit Wirkung

Ein ausdifferenziertes Kurssystem, das auf besondere Bedürfnisse spezieller Zielgruppen Rücksicht nimmt, ist von großer Bedeutung für junge Menschen. Im Jahr 2023 haben nach der Integrationsgeschäftsstatistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bundesweit ca. 7.300 Menschen einen Jugendintegrationskurs besucht. Damit hat sich die Teilnehmer*innenzahl gegenüber 2022 verdoppelt.

Die Integrationskurse müssen es jungen Menschen ermöglichen, mindestens mit einem Zertifikat B1 abzuschließen. Viele müssen darauf aufbauend in Hinblick auf ihren beruflichen Werdegang das Niveau B2 erreichen. Laut der Geschäftsstatistik 2023 haben nur 58,1% der Teilnehmer*innen an den allgemeinen Integrationskursen das Sprachlernziel B1 erreicht, während in den Jugendintegrationskursen 76,7 % der Teilnehmer*innen mit B1 abgeschlossen haben. Eine Streichung dieser Kurse ist also keinesfalls bedarfsgerecht.

Altersgerechte Inhalte und individuelle Förderung

Für junge Menschen haben alters- wie auch geschlechtsspezifische Themen einen besonderen Stellenwert. Dabei geht es einerseits um Entwicklungsaufgaben des Jugendalters, die oftmals nachholend bearbeitet werden müssen. Andererseits geht es um die Entwicklung persönlicher und beruflicher Perspektiven in Deutschland. Jugendintegrationskurse ermöglichen es jungen Menschen, den Anschluss an das Bildungssystem zu finden und je nach ihren Fähigkeiten und Interessen den Anforderungen auf ihrem weiteren Bildungsweg gerecht zu werden.

Junge Menschen, die älter als 16 Jahre sind, haben oft keinen Zugang mehr zum allgemeinbildenden Schulsystem. Ihnen stehen, sofern es keine speziellen Angebote etwa für geflüchtete junge Menschen gibt, nur die Sprachlernklassen an den Berufsschulen offen. Diese sind in der Qualität mit den Jugendintegrationskursen nicht vergleichbar. Zudem sind hier die Plätze eng begrenzt. Deshalb stellen die Integrationskurse für diejenigen, die an den Berufsschulen abgewiesen werden, die einzige Option dar.

Teilnehmer*innen von Integrationskursen weisen große Unterschiede hinsichtlich ihrer Lernvoraussetzungen und ihrer Vorkenntnisse in der deutschen Sprache auf. Junge Menschen haben andere Lernbedarfe als ältere Menschen. In den allgemeinen Integrationskursen sind sie daher tendenziell unterfordert. Die Teilnahmebereitschaft und der Lernerfolg hängen eng mit der Identifikation der Teilnehmenden mit den Inhalten der Integrationskurse zusammen. Je stärker sie den persönlichen Bezug erkennen, desto motivierter sind sie, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten aktiv einzusetzen und weiterzuentwickeln.

In den Jugendintegrationskursen können die altersspezifischen Fragestellungen aufgegriffen und passende Module entwickelt werden. Es werden berufsvorbereitende Lerninhalte integriert und Bildungswege aufgezeigt. Die Nutzung digitaler Medien nimmt einen großen Raum ein, auch ein Berufspraktikum kann absolviert werden. Jugendintegrationskurse vermitteln ergänzend Orientierungswissen und schaffen so eine Basis für die berufliche und soziale Integration. Auch die zunehmend wichtigeren Themen der politischen Bildung haben hier ihren Platz.

Aufgrund des umfassenderen Zeitrahmens und der kleineren Gruppengröße ist es den Teilnehmenden möglich, die Sprache in ihren sozialen Beziehungen aktiv einzusetzen und erst einmal ihre neue Umgebung kennenzulernen. Das Lernen in der Peer Group trägt maßgeblich zum Erfolg bei.


Sicherung des Aufenthalts

Zu betonen ist die besondere Bedeutung des erfolgreichen Abschlusses des Sprachkurses im Zusammenhang mit dem Chancenaufenthaltsgesetz. Der Erwerb eines Aufenthaltsrechts nach Paragraf 25b im Rahmen des Chancenaufenthalts setzt zwar nur mündliche Deutschkenntnisse auf Niveau A2 voraus. Allerdings müssen Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland nachgewiesen werden. Um den hierzu eingesetzten Test „Leben in Deutschland“ zu bestehen, reichen Sprachkenntnisse auf dem Niveau A2 – so die Rückmeldungen aus der Praxis – nicht aus.

In vielen Fällen hatten junge Menschen, die einen Chancenaufenthalt erhalten, bisher weder einen Zugang zu den Integrationskursen noch eine Arbeitserlaubnis. Deshalb ist das Zeitfenster von 18 Monaten eng bemessen, um die notwendigen Deutschsprachkenntnisse zu erwerben. Hier sind die langen Wartezeiten auf einen Integrationskurs bereits heute ein großes Problem.

Vorrang der Qualifizierung vor Arbeitsaufnahme

Im Zusammenhang mit der Einführung des JobTurbo konnte geklärt werden, dass junge Menschen bis 27 Jahre nicht die primäre Zielgruppe dieser BA-Maßnahme sind. Für junge Menschen hat die grundständige Bildung Vorrang. Bei einer schulischen Ausbildung (z. B. Pflegeausbildung) oder im Fall einer Studienaufnahme ist das Sprachniveau B2 unabdingbar. Auch für eine duale Ausbildung setzen die meisten Arbeitgeber dieses Sprachniveau voraus. Zudem ist der Unterrichtsstoff in der Berufsschule ohne gute Deutschsprachkenntnisse kaum zu bewältigen.

Die Anforderung, zunächst einen Job wahrzunehmen, um dann parallel weitere Sprachkenntnisse zu erwerben, führt für junge Menschen dazu, dass die qualifizierte Beschäftigung in dem angestrebten Beruf in weite Ferne rückt. Notwendige Bildungswege werden unterlassen, sie verbleiben oft dauerhaft in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Wenn der breite Bildungshintergrund der Zielgruppe nicht wahrgenommen und vorhandene Kompetenzen nicht gezielt gefördert werden, gehen dem Arbeitsmarkt potenzielle Fachkräfte verloren.

Verlängerte Wartezeiten

Bei der geplanten Verringerung des Integrationskursangebots ist mit einer weiteren massiven Verlängerung der extremen Wartezeiten vor allem in ländlichen Regionen zu rechnen. Die im Referentenentwurf erklärte Absicht, das Absolvieren eines Integrationskurses zu beschleunigen, wird aus Sicht der BAG EJSA an den Wartezeiten scheitern.

Verlagerung des Beratungsbedarfs

Junge Menschen auf die allgemeinen Integrationskurse zu verweisen ist nicht zielführend! Auf die besonderen Herausforderungen der Lebensphase Jugend oder auch auf psychische Belastungen kann in den allgemeinen Integrationskursen mit einer stark heterogenen Zusammensetzung nur sehr begrenzt oder gar nicht eingegangen werden. Daraus ergibt sich ein größerer individueller Beratungsbedarf parallel zum Integrationskurs oder im Anschluss an den Kurs. Dieser muss dann durch die bereits jetzt überlasteten JMD aufgefangen werden. Die JMD können dies ohne eine deutliche Aufstockung des Haushaltsansatzes keinesfalls leisten.

Trägervielfalt erhalten

Die Spezialkurse für junge Menschen werden häufig durch kleinere Träger durchgeführt, die ausschließlich solche Kurse anbieten. Zum Beispiel bieten Migrant*innen- oder Frauenvereine häufig diese Kurse an und erreichen dadurch niederschwellig Menschen aus ihrem Umfeld, die nicht an einem allgemeinen Integrationskurs teilnehmen würden (z.B. junge Eltern, Frauen mit Care-Aufgaben). Wenn diese Frauen/Eltern kein Deutsch lernen können und ihre Kinder keinen Kindergartenplatz bekommen, was sehr oft der Fall ist, werden für die Kinder zusätzliche Integrationshürden geschaffen.

Jugendintegrationskurse werden sinnvollerweise von Einrichtungen der Jugendhilfe oder Jugendsozialarbeit angeboten. Hierdurch können die jungen Menschen engmaschig begleitet und ihnen ergänzende Maßnahmen z.B. im JMD angeboten werden. Zudem haben die Träger von Frauen-, Eltern- und Jugendintegrationskursen die Möglichkeit, das Kurskonzept an die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe anzupassen.

Die Abschaffung dieser speziellen Kurse wird dazu führen, dass die kleinen Integrationskursanbieter vom Markt verschwinden und sich die Trägerlandschaft weiter ausdünnt. Es wird dann nur noch einige wenige große Träger geben und Trägervielfalt nicht zu garantieren sein.

Paragraf 4a RefE: Neue Integrationshindernisse durch neue Fahrtkostenregelung

Durch die neue Regelung wird für junge Menschen die Teilnahme an Integrationskursen zusätzlich erschwert, wenn sie neben der Fahrzeit auch die Fahrtkosten aufbringen müssen. Die Fahrtkostenerstattung im Einzelfall erstreiten zu müssen, wird den bürokratischen Aufwand erhöhen.

Fazit

Die weitere Finanzierung qualifizierter Jugendintegrationskurse für junge Menschen ab 16 Jahren ist aus Sicht der BAG EJSA dringend notwendig. Zudem müssen die administrativen Anforderungen gesenkt werden, damit die Kurse auch stattfinden können. Die Fahrtkostenerstattung ist für junge Menschen eine Notwendigkeit. Es liegt im gesamtgesellschaftlichen Interesse, den jungen Menschen eine erfolgreiche Zukunft und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.