Rechtspopulismus schadet der Seele
Sich angesichts einer wachsenden rechtspopulistischen Bewegung mit den Herausforderungen und Handlungsstrategien für das eigene Arbeitsfeld auseinanderzusetzen, war das Interesse der 40 Teilnehmer*innen aus den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern der evangelischen Jugendsozialarbeit, der evangelischen Jugendarbeit, der gesellschaftspolitischen Jugendbildung, aber auch aus Kirche, Gewerkschaften und Forschung. Eingeladen hatten zu dieser Kooperationsveranstaltung die BAG EJSA und BAG K+R (Kirche und Rechtsextremismus) zusammen mit der evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (et) und der Bundesakademie für Kirche und Diakonie (bakd).
Ingo Grastorf wies in seinem Grußwort explizit auf den Tag der Menschenrechte hin: „Dass diese Tagung heute am 10. Dezember 2019 beginnt, soll für uns ein gutes und wegweisendes Motto für die vor uns liegenden zwei Tage sein.“
In seinem Einführungsvortrag „Rechtspopulismus in Deutschland – ein Überblick“ machte Henning Flad, BAG K+R, die Herausforderung für kirchliche Organisationen deutlich: die Ziele des Rechtspopulismus stehen in direktem Widerspruch zum Engagement für Geflüchtete und für eine soziale, geschlechtergerechte und offene Gesellschaft. Das Angebot, Texte der Neuen Rechten zu lesen und zu diskutieren, wurde am Abend des ersten Tages von einer großen Gruppe intensiv wahrgenommen.
Prof. Dr. Michaela Köttig, Frankfurt University of Applied Sciences Fachbereich Soziale Arbeit, umriss mit der Fragestellung „Akzeptieren?! – Konfrontieren?!“ das Dilemma des Umgangs mit Rechtsextremismus in der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen. Die Auswirkungen des akzeptierenden Ansatzes machte sie an den tiefgreifenden Folgen des Bundesmodellprogramms „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ (1992-1997) in Ostdeutschland deutlich. Nach Abschluss der Modellphase hatte sich an den ehemaligen Standorten der jugendliche Rechtsextremismus ausgeweitet. In der Auseinandersetzung mit der Rolle und der Verantwortung der Sozialen Arbeit im Kontext von Rechtsextremismus sei es wichtig, immer die Perspektive der (potentiellen) Opfer einzubeziehen, aber auch vor extrem rechten Tendenzen innerhalb der Sozialen Arbeit die Augen nicht zu verschließen.
Dr. Hilke Rebenstorf vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD referierte zu der Frage „Wie viele sind es denn? Rechtsextremismus und die empirische Sozialforschung“. Aufschlussreich war dabei die Erkenntnis, wie unterschiedlich die Ergebnisse ausfallen, wenn das forschende Institut und das Forschungssetting wechseln. Dieser Blick hinter die Kulissen der empirischen Sozialforschung machte deutlich, dass durch die alarmistische Rhetorik um „die verlorene Mitte“ die tatsächlichen Bedrohungen durch den Rechtsextremismus dethematisiert werden.
Aus verschiedenen Perspektiven und auf unterschiedlichen Ebenen wurde der Themenkomplex in den Workshops bearbeitet:
- Johannes Scholz-Adam von der ejsa Bayern gab fundierte Einblicke in rechte Jugend(sub)kulturen und den Livestyle am rechten Rand.
- Wie Verschwörungsideologien funktionieren, welche Faszination sie auslösen und wie sie entlarvt werden können, machte Matthias Blöser vom Zentrum für gesellschaftliche Verantwortung der EKHN in seinem Workshop deutlich.
- Wie sehr wir alle in unseren eigenen Filterblasen leben und wie schwer es fällt, mit Menschen zu reden, die andere Ansichten vertreten, machte Dr. Annika Schreiter von der Evangelischen Akademie Thüringen in ihrem Workshop „Bubble Crasher, Raus aus der Filterblase“ klar. Die Bubble-Crasher-Methoden können dabei von Jugendlichen wie auch von Fachkräften erlernt und umgesetzt werden.
- Die Junge Akademie Frankfurt analysierte selbstkritisch die Tops und Flops ihrer Demokratieprojekte.
Neben diesen praxisorientierten Workshops gab es zwei Gruppen, die sich mit strukturellen und strategischen Fragestellungen beschäftigten:
- Hanna Lorenzen, et, diskutierte mit den Teilnehmer*innen zu „Streitbar oder neutral? Das Kontroversitätsgebot in der politischen Bildung“ über ein heute wieder besonders notwendiges Selbstverständnis.
- Beim Workshop „Schere im Kopf? Parlamentarische Anfragen als Mittel der Einschüchterung und ihre Wirkung auf die Gemeinwesenarbeit“ hatte die Selbstzensur schon zum Verzicht auf die Nennung eines konkreten Parteinamens im Titel geführt. Anhand konkreter Beispiele öffentlich zugänglicher kleiner Anfragen der AfD zeigte Aninka Ebert von der bakd, wie diese Partei nicht nur im Osten dieses Mittel nutzt, um soziale Arbeit unter Druck zu bringen. Ihre Hinweise auf bedachte Reaktionsweisen, strategische Vernetzung und konkrete Unterstützung wurden von den Teilnehmenden mit Interesse aufgenommen.
Notwendig ist: Genau hinschauen, kritisch hinterfragen, sich informieren, kundig lesen und hinhören. Das war das Fazit, das sowohl für die Arbeit mit jungen Menschen als auch für die (fach-)politische Arbeit gilt. Zusätzlich braucht es neue strategische Vernetzungen zwischen Expert*innen zu Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, Sozialer Arbeit und weiteren gesellschaftlichen Akteur*innen. Die Verbindung mit der Evangelischen Kirche drückte sich in der Wahl des Tagungstitels und des dazugehörigen Fotos aus. Ingo Grastorf beschrieb in seinem Grußwort die dahinterliegende Haltung: „Wir hoffen und glauben, dass ein Leben in Gerechtigkeit und Frieden möglich ist. Jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes und soll erfahren können: Liebe tut der Seele gut.“