Respekt Coaches der Jugendmigrationsdienste

Unterschiedliche Meinungen akzeptieren, Position beziehen, argumentieren - das Präventionsprogramm "Respekt Coaches" der Jugendmigrationsdienste macht demokratische Werte für Schülerinnen und Schüler erlebbar. Fachkräfte der Jugendmigrationsdienste fördern Respekt, Toleranz und den Abbau von Vorurteilen an rund 190 Standorten bundesweit. Das Motto des vom Bundesministerium für Familie, Senioren Frauen und Jugend finanzierten Programms, das im Frühjahr 2018 startete: Lass uns reden! Reden bringt Respekt.

Präventionsprogramm Respekt Coaches der Jugendmigrationsdienste

Unterschiedliche Meinungen akzeptieren, Position beziehen, argumentieren. Seit 1. März 2018 macht das Präventionsprogramm Respekt Coaches der Jugendmigrationsdienste demokratische Werte für junge Menschen erlebbar und stärkt sie in ihrer Persönlichkeit. Mit präventiven Angeboten an bundesweit rund 190 Standorten fördert das Programm Respekt, Toleranz und den Abbau von Vorurteilen an Schulen.

 

Respekt Coaches in evangelischer Trägerschaft

In evangelischer Trägerschaft und koordiniert von der BAG EJSA arbeiten aktuell Respekt Coaches an über 70 Standorten.

Schülerinnen und Schüler erfahren den Wert einer vielfältigen Gesellschaft.

Ziel ist es, den Blickwinkel zu erweitern und unterschiedliche Weltanschauungen und Lebensweisen besser zu verstehen. Damit trägt das Programm langfristig zu einem gesunden Klassenklima und Zusammenhalt in der Schule bei. Die Jugendmigrationsdienste setzen das Programm in den Schulen gemeinsam mit Partnern um.

In Gruppenangeboten setzen sich Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Lebensweisen auseinander und  erlernen interkulturelle und interreligiöse Kompetenzen. Die Schülerinnen und Schülern haben auch die Möglichkeit, Angebote selbst zu entwickeln und Themen aufzugreifen, die ihnen wichtig sind und sich darin zu erproben. Dabei lernen sie, sich selbst im Diskurs mit anderen zu positionieren, unterschiedliche Meinungen auszuhalten und menschenfeindliche Erklärungsmuster zu erkennen.

Die Gruppenangebote sind zeitlich begrenzt und richten sich in der Regel an den Klassenverband.

Die Inhalte umfassen: Demokratieförderung, Stärkung der Selbstwirksamkeit, Interkulturelle und interreligiöse Kompetenz, Medienkompetenz.

Demokratisches Miteinander: Lass‘ uns reden, zuhören und dazu gehören. Ein kurzer Blick in die Praxis

Im Programm Respekt Coaches wird häufig über Themen wie Diskriminierung, Rassismus oder Fake News gesprochen. Manchmal sind es aber die vermeintlich einfachen Dinge im Alltag, die die Grundlage für ein respektvolles Miteinander bilden.

An einem kühlen Herbsttag sitzen ein gutes Dutzend Schüler*innen im Stuhlkreis in ihrem Klassenzimmer. Beinahe jede Woche treffen sie sich mit den beiden Respekt Coaches und der Klassenlehrerin. Dann besprechen sie zusammen, was alles diese Woche angefallen ist. Eine Person nach der anderen nennt ihren Vornamen, ihr Alter und erzählt kurz, wie die zurückliegenden Tage für sie waren. Das läuft sehr flüssig und diszipliniert, fast schon vorbildlich. Die meisten Erlebnisse, von denen die Schüler*innen berichten, sind dennoch negativ. Der Dauerbrenner sind die vielen Beleidigungen, die fester Bestandteil in der Kommunikation zwischen den Schüler*innen sind. Häufig sollen sie nur als „Spaß“ gemeint gewesen sein. Aber dann ergibt ein Wort das andere und aus einem unüberlegten Witz wird eine persönliche Beleidung oder gar eine Kränkung. Die einzelnen Berichte der Schüler*innen sind Beleg dafür, wie schnell eine Situation eskaliert. Noch nicht einmal die Hälfte der Schüler*innen hat ihre Geschichte erzählt, aber sie haben schon von einer zerrissenen Jacke berichtet und eine Jugendliche gibt nach kurzem Schweigen zu, dass sie einen Mitschüler gewürgt hat.

Die Respekt Coaches, die mit dieser Klasse arbeiten, wussten bereits von den meisten Vorfällen. Sie sind seit 2018 an der Schule und sind sehr gut vernetzt. Sie arbeiten vertrauensvoll mit vielen Lehrkräften zusammen, tauschen sich mit den Kolleg*innen der Schulsozialarbeit und anderen Diensten intensiv aus und werden von den rund 1.000 Schüler*innen aktiv angesprochen – auf dem Schulhof, im Gang oder in ihrem Büro. Dort ist den Pausen ein Kommen und Gehen. Die hohe fachliche Kompetenz der Respekt Coaches in Verbindung mit ihrer wertschätzenden Haltung hat sich rumgesprochen.

Verantwortung übernehmen

Dass die Vorfälle nochmals mit den Jugendlichen aufgerollt werden, löst im Normalfall noch keine Probleme. Aber die Jugendlichen merken sehr schnell, dass sie gesehen und gehört werden. Die Respekt Coach-Fachkräfte moderieren den Austausch eher, damit sich alle beteiligen. Die Schüler*innen entscheiden selbst, was berichtet werden soll.  Die beiden Respekt Coaches fassen bei den heiklen Themen dennoch gezielt nach. Denn sie achten darauf, dass die Verantwortung nicht nur bei den anderen Mitschüler*innen gesucht wird. Weil die Fachkräfte dabei nicht belehren und auch nicht sanktionieren, stellen die Schüler*innen schnell fest, dass ihr eigenes Verhalten einen Unterschied machen kann. Das ist schwer. Aber zuerst muss ein Raum geschaffen werden, in dem das besprochen und gespürt werden kann. Keine der anwesenden Personen ist stolz darauf, was die letzten Tage alles schief gegangen ist. Und eigentlich wollen sie „eine“ Klasse sein, in der sich alle einigermaßen wohlfühlen. Damit das erreicht werden kann, darin sind sich die Schüler*innen einig, soll falsches Verhalten Konsequenzen haben. Diese fallen in die Zuständigkeit der Lehrkräfte.

Für die Arbeit der Respekt Coaches ist es wichtig, dass sie die Klassen kennenlernen und wissen „was läuft“. So können sie auch die Potentiale erkennen, die alle Schüler*innen mitbringen. Mit diesem Hintergrundwissen kann fachlich entschieden werden, welcher Bildungsträger zu einem bestimmten Thema eingeladen werden soll und welche Methode für diese Schüler*innen am besten geeignet ist. Die Methode muss zu den jungen Menschen passen. Zusätzlich sind regelmäßige Absprachen und eine klare Aufgabenteilung mit Lehrkräften und anderen Diensten wie z.B. Schulsozialarbeit, psychologische Beratung usw. notwendig. Die begrenzten Ressourcen sollen möglichst effektiv und entsprechend der jeweiligen Fachkompetenz eingesetzt werden. Im Alltag stellt das die Respekt Coaches vor große Herausforderungen: die Arbeit nimmt kein Ende und die Perspektive auf junge Menschen an Schulen ist häufig defizitorientiert. Probleme sollen gelöst werden, damit der Unterricht möglichst störungsfrei verläuft. Eine in jederlei Hinsicht heterogene Klasse ist aber voller Dynamik, denn jede*r Schüler*in möchte in ihrer Persönlichkeit wertgeschätzt und wahrgenommen werden. Die persönlichen Wege der jungen Menschen werden vielfach von Jahr zu Jahr komplizierter und als unsicherer wahrgenommen. Für die vielen offenen Fragen rund um die eigene Identität wird nach Antworten gesucht, die Zugehörigkeit und Selbständigkeit gleichermaßen versprechen.

Dabei decken sich die eigenen Erwartungen oder die der Familie nicht immer mit den Idealen einer an Individualismus und Konsum orientierten Mehrheitsgesellschaft oder an den Vorstellungen einer an Selbststeuerung und Leistung orientierten Bildungseinrichtung. Die voneinander abweichenden Wertvorstellungen hinsichtlich individueller Freiheitsgrade müssen von den Jugendlichen eigenständig in Einklang gebracht werden. Wenn die Erwartungen zu groß werden, geht es bei vielen weniger um eine bewusste, schlüssige Vereinbarkeit von Normen. Vielmehr lernen sie Verhältnisse „auszuhalten“ oder entwickeln Strategien, sich in der jeweiligen Situation zu arrangieren. Die sozialen und ökonomischen Möglichkeiten sind höchst unterschiedlich ausgeprägt, um sich in einer an vermeintlich objektiver Leistung orientierten Arbeitswelt und Gesellschaft einen Platz zu erkämpfen. Das wissen die jungen Menschen sehr gut und sehen vor allem das, was ihnen fehlt oder unerreichbar erscheint.

Komplizierte Lebenszusammenhänge erschweren die Orientierung

Wenn sich zusätzlich Lebenszusammenhänge, Werte und Teilhabemöglichkeiten fortlaufend wandeln, sind verlässliche Orientierungsmöglichkeiten schwer zu finden. Das trifft insbesondere auf Menschen zu, deren Biographie mit kulturellen Mehrfachzugehörigkeiten verbunden ist. Diskriminierungen im Alltag verstärken Zweifel an der Gesellschaft, sie lösen aber auch Selbstzweifel aus. Wenn dann Misserfolge in der Schule, familiäre Probleme, fehlende Freundschaften, persönliche Kränkungen oder andere Schicksalsschläge den Lebensweg prägen, stellt sich über kurz oder lang eine Überforderung des jungen Menschen ein. Die für die Identitätsbildung bedeutsame „Anerkennungsbilanz“ fällt negativ aus. Das berechtigte Bedürfnis, diese Bilanz aufwerten zu wollen, machen sich nicht nur Extremisten, sondern auch Anhänger*innen autoritärer Gesellschaftsmodelle zu nutzen. Sie werten Menschen, die aufgrund ihrer Nationalität, Ethnizität, Religion, sexueller Orientierung, Haltung, politischer Gesinnung, Lebensstils usw. als „fremd“ bzw. nicht zugehörig ausgegrenzt werden, als unterlegen ab. Die Lösung der Probleme und Krisen wird durch die Konstruktion von Feinbilder ersetzt, was in „unsicheren Zeiten“ (z.B. Energieknappheit, hohe Inflation, Krieg in der Ukraine, Corona) vergleichsweise einfach fällt. Das Gefühl von Zugehörigkeit wird dann aber nicht durch Zusammenhalt und gemeinsame Verantwortung vermittelt, sondern „den anderen“ durch Ausgrenzung und Schuldzuweisungen entzogen. Pluralismus und persönliche Entfaltung bleiben als Erstes auf der Strecke.

Wenn Respekt Coaches mit Schüler*innen über den Alltag in der Klasse sprechen, lernen die Jugendlichen, wie mühsam das sein kann. Dabei erfahren sie aber auch, dass nicht ihr Name, ihr Alter, ihr Wohnort oder ihre Religion im Mittelpunkt stehen. Sie selbst und ihr Verhalten sind von Bedeutung. Ein Programm wie die „Respekt Coaches“, dass demokratische Werte erlebbar machen soll, kann nicht nur über diese Werte reden, es muss sie selbst umsetzen. Das geschieht auf so vielfältig Art und Weise wie die Jugendlichen es selbst sind.

Das Programm Respekt Coaches wird durch pädagogische Fachkräfte der Jugendmigrationsdienste umgesetzt.

Wesentliche Aufgaben sind die Zusammenarbeit mit einer oder mehreren Kooperationsschulen auf der Grundlage einer Kooperationsvereinbarung und eines Präventionskonzepts, die Organisation und Begleitung geeigneter Gruppenangebote inklusive Vor- und Nachbereitung für die Schülerinnen und Schüler in Kooperation mit den Trägern der politischen Bildung und der Extremismusprävention, die Konzipierung und Durchführung eigener Gruppenangebote, Netzwerkarbeit sowie die individuelle Beratung der Schülerinnen und Schüler.

Neue Ansätze in der Präventionsarbeit

Im Programm Respekt Coaches werden neue Ansätze erprobt, Erkenntnisse gesammelt und Erfahrungen ausgetauscht, um die Arbeit in der primären bzw. universellen Prävention weiterzuentwickeln. Fortbildungen und Austauschtreffen der Respekt Coaches stellen den Wissenstransfer sicher.

Das Programm fördert die Zusammenarbeit und Vernetzung der Jugendmigrationsdienste mit den Trägern der politischen Bildung und den Trägern der Radikalisierungsprävention.